Donnerstag, 16. Januar 2014

Der Weg des Kriegers (6): Fragen und Antworten

Kann der Mensch, wenn er eine bestimmte Tätigkeit beginnt, beispielsweise Fremdsprachenlernen oder Wissenschaft, seine Aufmerksamkeit weg von seinem Konzentrationsobjekt auf diese Tätigkeit lenken?

Ja, natürlich. Die Praxis der Konzentration, wie jede beliebige Technik, fördert die Konzentrationsfähigkeit. Das ist das, was dem Menschen Konzentration beibringt, das, was den Menschen lehrt, seinen Verstand zu konzentrieren, seine Gefühle zu kontrollieren. Sobald der Mensch diese Fähigkeit bekommt, kann sie sich im alltäglichen Leben entfalten. Das heißt, der Mensch geht all seine Tätigkeiten konzentriert an. Was auch immer der Mensch tut, wird er konzentriert ausführen. Das wird eben die Konzentration sein. Meistens jedoch gelingt es den Menschen nicht von Anfang an. Und dafür gibt es Techniken, um diese Fähigkeit zu entwickeln. Wenn die Fähigkeit aber schon weit entwickelt ist, kann ein solcher Mensch buchstäblich in jeder Lebenslage praktizieren. Es ist ungefähr so, als wenn ein Mensch seine Muskeln mit irgendwelchen Geräten trainiert, die nicht unbedingt einen Bezug zum realen Leben haben, dann jedoch, wenn der Körper durchtrainiert ist, einen großen Nutzen davon auch im materiellen Leben erfährt. Genauso wird ein Mensch, der seine Konzentrationsfähigkeit in sich entwickelt hat, so dass die Konzentration und die innere Gesammeltheit für ihn zum natürlichen Zustand geworden sind, alle Aufgaben innerlich gesammelt angehen. 

 
Sprich, man sollte einfach zuerst versuchen, bestimmte Lebensumstände in den Hintergrund zu drängen, sich in die Praxis zu vertiefen, um danach die Probleme angehen zu können. Das heißt, sein Tätigkeitsfeld einschränken.

Ja, natürlich. Man sollte keinen Konflikt schaffen nach dem Motto: "Ich bin ein Mönch, ab jetzt werde ich jegliche Tätigkeiten einstellen". Aber man sollte sich auch nicht von äußeren Umständen leiten lassen. Der Verstand wird unzählige Tricks erfinden, sobald er verspürt, dass jemand versucht ihn in den Griff zu bekommen. Zum Beispiel Tricks im Sinne von "ich habe schon etwas erreicht" oder "ich meditiere" oder "ich konzentriere mich"... Der Verstand fängt an, eine Vielzahl an Ideen anzubieten, damit der Mensch sie verdauen kann. Er wird alles tun, damit der Mensch aufhört zu praktizieren. Deshalb sollte man immer auf der Hut sein und mit der Praxis der Konzentration auf keinen Fall aufhören. Man sollte den Moment fühlen, wenn der Verstand versucht, die Oberhand zu gewinnen. Dafür gibt es die Praxis der Konzentration. Nicht ohne Grund betone ich die Konzentrationstechniken, die sich auf ganz bestimmte, handfeste Objekte beziehen. Ich lehnte immer diejenigen Techniken ab, die auf Visualisierungen basieren, die mit irgendwelchen mentalen Vorstellungen verbunden sind, mit Bildern, weil der westliche Mensch meistens nicht in der Lage ist, mit irgendwelchen Bildern zu arbeiten - er wird sich da ganz leicht verirren. Wenn der Mensch aber mit einer Konzentrationstechnik wie beispielsweise der Atmung zu tun hat… die Atmung ist ja immer da. Der Mensch kann immer mit Gewissheit sagen, ob er seine Atmung beobachtet oder nicht. Ich biete immer eben nur die Techniken an, bei denen der Mensch mit Gewissheit behaupten kann, ob er sich gerade konzentriert oder nicht konzentriert. Und alles Weitere kommt nur auf den Menschen selbst an: ob er das machen wird oder nicht. Deshalb wird sich diese Fähigkeit im Alltag selbst entfalten. Die Menschen, die Fremdsprachen lernen, berichten, dass sie auch in einer Fremdsprache zu denken beginnen, wenn sie sie in Perfektion beherrschen. Das ist eine Fähigkeit, die von alleine kommt. Sobald sich der Mensch daran gewöhnt hat, sich jederzeit innerlich zu sammeln, wenn das zu einem normalen Zustand geworden ist, dann... konzentriert er sich automatisch auf allem, was vorliegt. Und dann beginnt der Konflikt zwischen dem Äußeren und dem Inneren zu verschwinden. Das heißt, die Praxis beruht faktisch darauf, dass der Mensch am Anfang versucht, sich von den Einflüssen der äußeren Welt abzuschirmen, nur um später zu ebendieser Welt wieder zurückzukehren. Und dann verschwindet jeglicher Konflikt. Deshalb sollte man keine Angst vor den Situationen haben, in denen man für einen Idioten oder für ein schwarzes Schaf gehalten wird, als jemand, der irgendwelchen komischen Tätigkeiten nachgeht, wahrgenommen wird. In Wirklichkeit können bestimmte Menschen, insbesondere Freunde und Verwandte, fühlen, dass sich jemand ändert, dass sich seine Aufmerksamkeit und seine Gerichtetheit geändert haben - der Mensch ist anders geworden. Und sie werden sogleich versuchen, vom Egoismus geleitet, den Menschen wieder in den bisherigen Zustand zurückzuholen. Warum? Weil die Menschen Angst vor allem Unbekannten haben. Deshalb, wenn sie sehen, dass der Mensch mehrere Jahrzehnte der eine war und dann plötzlich nur innerhalb von wenigen Monaten ganz anders geworden ist, seine Freizeit anders verbringt - das wird ihnen unheimlich, ist unverständlich, weil sie sich das logisch nicht erklären können. Deshalb werden sie gleich versuchen, den Menschen aus diesem Zustand herauszubringen, ihn wie Ikarus zurück auf die Erde zu holen. Daher sollte man keine Angst vor so etwas haben und die Praxis trotz allem fortsetzen. Mit der Zeit wird der Konflikt verschwinden. Deshalb betone ich immer wieder, dass das Vorhandensein der Konflikte ein Hinweis auf die Schwäche des Menschen ist. Wenn der Mensch spirituell stark ist, ist er in der Lage, jeden Konflikt zu vermeiden. Weil er in der Lage ist zu verstehen, was andere von ihm wollen, so dass er in der Lage ist, jeden Konflikt vorzubeugen. Deshalb ist der Konflikt zu Beginn unvermeidlich, aber man sollte keine Angst vor ihm haben. Wichtig ist - nicht stehenbleiben und weitergehen.

Zum Trost aller Praktizierenden kann man sagen, dass die Energie, welche mit der Zeit im Menschen emporkommt, nicht sinkt. Man kann sagen, dass ein Mensch, der sich eine Zeit lang mit der Praxis der Konzentration und der Meditation beschäftigt hat, in der Lage sein wird, auch nach einer Pause von einigen Jahren zu seinen Übungen zurückzukehren. Und er holt sich seine bisherigen Erfahrungen sehr schnell zurück. Je mehr Erfahrung der Mensch besitzt, desto mehr Möglichkeiten zurückzukehren hat er - und das viel schneller als ein Mensch, der ein absoluter Anfänger ist. Deshalb sollte man keine Angst vor Abstürzen haben: sie sind unvermeidlich. Die Praxis wäre zu leicht, wenn der Mensch alle Entwicklungsniveaus sofort durchlaufen und gleich Die Weisheit erlangen könnte. Deshalb ist sie immer verworren und schwer. Wenn im Diamant-Sutra Buddha Subhuti fragte, was er wählen würde: sofort Die Höchste Vollkommene Weisheit oder Den Weg mit all den Fehlern und Stürzen - antwortete er (Subhuti): "Ich würde Den Weg mit all den Fehlern und Stürzen wählen". Weil andernfalls die Erleuchtung an sich tot wäre. Der Weg ist jedoch die immerwährende Vervollkommnung, Bewegung, eine ständige Bewegung vorwärts. Deshalb sollte man all die Fehler und Stürze nicht fürchten, die der Mensch erleben wird. Trotz allem muss man weiter praktizieren und nicht stehen bleiben, sogar wenn man gestürzt ist. Und am Anfang ist die Praxis immer sehr zerbrechlich: man kann mehrere Monate schuften, irgendwelche Ergebnisse erreichen und dann plötzlich alles innerhalb von wenigen Minuten verlieren, um dann von vorne anzufangen. Umso schneller wird dagegen das bisherige Niveau wieder erreicht, man wird dafür weniger Zeit brauchen und dadurch auch die Möglichkeit bekommen weiterzukommen. Auf diese Weise kann man seine Praxis vertiefen. Die Hauptsache ist - immer die Bestrebung haben und nicht stehenbleiben. Der Mensch sammelt, wenn er täglich praktiziert, eine sehr große Kraft. Erfahrungsgemäß erleben die Menschen, die drei bis sechs Monate regelmäßig praktizieren, schon Konzentrations- und Meditationszustände. Faktisch gilt das für alle Menschen, unabhängig von ihrem Anfangsniveau. Der Großteil jedoch, mehr als neunzig Prozent aller Menschen, erlebt dann tiefe Stürze, die oft Jahre dauern, oft sogar drei oder fünf Jahre. Und das, weil sie mit den Übungen aufhören. Die Menschen spüren, dass sie schon ein bestimmtes Niveau haben, sie spüren irgendwelche Veränderungen in sich selbst... und sie fahren die Übungsintensität herunter. In der spirituellen Praxis ist es jedoch genauso wie im Sport: die Intensität muss immer zunehmen. Wenn sie nicht zunimmt, sondern gleich bleibt, setzt der Fall ein. Das heißt, eine stetige Bewegung muss da sein, der Mensch muss bestrebt sein, immer mehr und mehr zu leisten. Klar, wenn der Mensch mit der Praxis beginnt, gibt es nur kleine Konzentrationsperioden, dann jedoch werden die Zeitabschnitte immer länger, bis man sich die ganze Zeit konzentrieren kann. Und wenn das geschieht, werden das Innere und Äußere eins. Die Harmonie tritt ein - die goldene Mitte. Aber zuvor wird es sehr viele Stürze und Hindernisse geben. Sogar wenn der Mensch ein sehr hohes Niveau der Praxis hat, solange er Die Weisheit nicht erlangt hat, gibt es die Gefahr zu fallen. Weil ein spiritueller Zustand kein wissenschaftlicher Titel ist: das kann man alles augenblicklich verlieren. Man muss es immer aufrechterhalten und weiterentwickeln. Das macht die tägliche Praxis notwendig. Das wird am wertvollsten sein. Kein Zustand, keine Erfahrung - das alles ist noch nicht so wertvoll. Wenn der Mensch jedoch täglich das Bestreben in sich fördert, ist es sein spirituelles Niveau.

Die Frage nach dem Willen und der Kraft.

Der Wille und die Kraft... Hier kann man die zwei Aspekte Der Weisheit betonen. Der erste und wichtigste Aspekt ist Das Wissen, der Zweite ist Die Kraft. Das ist ungefähr so wie mit zwei Seiten einer Medaille - das eine ist nicht möglich ohne des anderen. Ein Mensch, der Das Wissen besitzt, die höchste und Vollkommene Weisheit besitzt, ist zweifelsohne ein sehr starker Mensch. Denn es gibt niemanden mehr, der ihn bezwingen könnte. Ein Mensch, der das weiß, was ein anderer von ihm will, ein Mensch, der Gedanken und Wünsche anderer Menschen fühlt - das ist schon ein starker Mensch, ein Sieger. Deshalb bedeutet Das Wissen als solches schon Die Kraft. Aber auch Die Kraft als solches, sie bedeutet auch Das Wissen. Wenn der Mensch eine sehr große Kraft hat, heißt es, dass er sie auf eine bestimmte Weise halten kann, sprich er besitzt das Wissen über diese Kraft. Deshalb kann man die zwei Begriffe gar nicht getrennt betrachten, sie bedeuten praktisch das Gleiche. So ist ein Mensch, welcher Die Weisheit hat, in Wirklichkeit ein Mensch, der sowohl Das Wissen als auch die Kraft hat. Es gibt viele Menschen, die sagen, dass sie dieses oder jenes können. Wenn man sie aber bittet, das alles materiell zu verwirklichen, stellt sich heraus, dass sie das gar nicht können. Und es gibt auch viele andere... Romantiker, Träumer, die vielleicht etwas im Inneren erleben, aber das niemals draußen verwirklichen. Dies stellt noch keine spirituelle Kraft dar. Wenn aber der Mensch, sagen wir mal, ein Wort geben kann und das auch einhalten - das stellt schon eine große Kraft dar. Die Menschen, welche große Kraft besitzen, werden vielleicht nicht von allen gemocht, aber sie werden absolut von allen respektiert. Deshalb ist die Kraft an sich schon eine wichtige und respekteinflößende Kategorie. Sogar Tyrannen wurden zu allen Zeiten zwar vielleicht nicht geliebt, aber dennoch als starke Menschen respektiert. Das heißt, starke Persönlichkeiten, sie wurden immer von allen respektiert. Genauso wie "Liebe", "Güte", "Kraft" immer von allen Völkern respektierte und bedeutende Kategorien waren, gilt das auch für das Wissen. Weil Die Weisheit gleichzeitig Das Wissen und Die Kraft ist. Die beiden Begriffe kann man nicht trennen. Der Moment, in dem ein Mensch irgendwelches Wissen hat, ist folglich auch der Moment, in dem er die Kraft hat, um Das Wissen zu verwirklichen. Und umgekehrt, wenn ein Mensch Die Kraft hat, besitzt er demnach genug Wissen über den betreffenden Gegenstand.

Und der Wille?

Der Wille ist der treibende Ursprung Der Kraft. Der Wille als solches entsteht in jedem Menschen. Wenn der Mensch Das Wissen besitzt, ist er in der Lage, dieses Wissen zu verwirklichen. Faktisch ist Die Kraft jenes, was Das Wissen verwirklicht. Was diesen Prozess aber treibt, das ist der Wille. Der Mensch ist in der Lage, den Willen durch unterschiedliche Dinge zu verwirklichen. Der Verstand stellt faktisch das Instrument dar, durch das der Mensch seinen Willen in die Tat umsetzen kann. Sagen wir mal, der Mensch schafft sich eine Einstellung und mit Hilfe dieser Einstellung kann er sich selbst und auch die anderen Menschen in Bewegung bringen. Auf diese Weise kann man den Verstand zweckkonform nutzen, so dass der Verstand ein Diener und nicht der Herr ist. Der Mensch kann für sich ein bestimmtes Ziel formulieren. Und wenn das Ziel gesetzt ist, kann der Mensch sich auf dieses zubewegen und er kann es genauso den anderen Menschen aufzeigen. Und der Wille, welcher in dieser mentalen Einstellung reflektiert wird, wird das alles antreiben. Dann kann der Mensch, sagen wir mal, eine bestimmte Einstellung äußern, und diese wird auch für andere Menschen wirksam werden. Der Mensch kann eine bestimmte Geste machen und dadurch die anderen Menschen stark beeinflussen. Oft gelten große Redner als ziemlich unscheinbare Menschen. Lenin galt zu seiner Zeit als ein großer Redner, obwohl diejenigen, die ihn auf Fotos oder auf der Leinwand erlebt haben, sahen, dass er im Großen und Ganzen ein kleiner und unscheinbarer Mensch war. Aber all seine Zeitgenossen berichteten, dass er sehr stark auf sie gewirkt hat, wenn er auf Versammlungen aufgetreten ist. Da war eben der Wille, den es in ihm gab und der ihn und die anderen bewegt und befeuert hat. Das ist eben der treibende Ursprung. Der Wille ist an sich ein sehr gefährliches Instrument. Weil der Mensch Die Kraft nicht nutzen kann, solange er kein Wissen besitzt. Weil Die Kraft einem Ross ähnelt, das immer reitet. Die Kraft ist ein Instrument, welches man unbedingt nutzen muss. Das heißt, man darf sie nicht dauernd in sich halten, sparen oder sammeln: sie muss immer angewendet werden, dann wird sich verwirklichen. Andererseits wenn sie zweckentfremdet wird, kann sie wie ein Bumerang zu ihrem Besitzer zurückkehren. Deshalb braucht man Das Wissen, um Die Kraft zu steuern. Ansonsten kann Die Kraft ihren Besitzer vernichten. Eben aus dem Grund ist es in spirituellen Praktiken üblich, dass das, was als Siddhis bezeichnet wird, nicht jedem Neuankömmling gegeben wird, dafür muss man zahlreiche Einweihungsstufen passieren. Weil der Mensch zuerst Das Wissen erlangen muss. Und wenn er Das Wissen besitzt, wird er Die Kraft nutzen können, die er durch seine Praxis bekommt. Nie wurde es umgekehrt gemacht. Eben deswegen hat man in den fernöstlichen Traditionen öffentliche Demonstration von Wundertaten vermieden. Das war immer die Domäne der Gaukler, der Fakire und ähnlicher Typen gewesen. Die Lehrer haben immer den inneren Zustand demonstriert und normalerweise keine äußeren Wunder. Meistens waren das irgendwelche Ausnahmefälle, in denen jemand ein Wunder zur Schau gestellt hat. Die Menschen sahen es wie einen Kometenschweif: etwas ist an ihnen vorbeigerauscht, aber sie sehen es nicht als Ganzes. Sie sahen, dass jemand etwas getan hat, aber wieso er das getan hat, konnten sie nicht sagen. Eben deswegen zogen es Die Lehrer vor, keine Fanatiker in Massen großzuziehen, sondern solche Schüler zu haben, die den Glauben haben sowie das Verstehen dessen, was sie tun. Eben das Verstehen in erster Linie und keinen blinden Glauben an ein neues Idol. Und Die Kraft, die kam später dazu. Und nachdem die Kraft dann da war, konnten die Schüler diese durch ihren Willen verwirklichen.

Viele sind von Anfang an bestrebt, irgendwelche Siddhis, übernatürliche Kräfte zu erlangen, um etwas zu beherrschen. Oder sie suchen unterschiedliche "Medaillen": hier die Medaille eines Erleuchteten, die Osho-Medaille oder die von Aurobindo, die von irgendeinem anderen Heiligen, die Christus-Medaille oder zumindest die von einem seiner Apostel... So werden die Menschen nicht in der Lage sein, etwas in ihrer spirituellen Praxis zu erreichen, weil sie nicht aufrichtig sind: einerseits wollen sie die Medaille, andererseits wollen sich spirituell entwickeln. Sie müssen sich entscheiden, was sie möchten: eine Medaille oder spirituelle Praxis. Nur dann werden sie praktizieren können.

Deshalb steht Das Wissen am Anfang der spirituellen Praxis. Jedoch wäre es falsch zu behaupten, dass Das Wissen primär ist und Die Kraft sekundär. Genauso kann man nicht feststellen, ob Die Weisheit oder die innere Sammlung primär ist. Wenn der Mensch die innere Sammlung erreicht, erreicht er auch Die Weisheit. Und umgekehrt, wenn der Mensch Die Weisheit besitzt, bedeutet es auch, dass er die innere Sammlung besitzt. Genau so war es immer. Wenn jemand beginnt, das Erste aus dem Zweiten herauszulösen, ist es ungefähr so, als würde man behaupten, was am Anfang war - das Licht oder die Finsternis, oder, was böse und was gut ist. Das heißt, der Mensch würde wieder in den Kreis irgendwelcher relativen Begriffe geraten und ihn niemals verlassen. Wenn der Mensch jedoch Die Weisheit erreicht, ohne dabei zwischen dem Ersten und dem Zweiten zu differenzieren, wird er diesen Zustand erfahren können. Und der Zustand wird ihm selbst den richtigen Weg weisen, er wird ihm Die Kraft und Das Wissen geben, die er braucht. Und dann wird der Mensch irgendeine Handlung ausführen - und gleichzeitig wird Die Kraft emporkommen, die notwendig ist, um diese Handlung auszuführen. Nicht zuvor und nicht danach - sondern exakt im selben Moment kommt Die Kraft, die man für die Handlung benötigt.

Die Frage darüber, ob man sich auf unterschiedlichen Körperstellen konzentrieren kann und über das Entstehen des Gedanken "Ich konzentriere mich".

Das würde heißen, dass der Verstand uns sagt: "Hey, hör mal auf, diesen Gedanken zu verwenden, verwende lieber den Gedanken "ich konzentriere mich". Dieser Gedanke ist bequemer, er ist größer und verständlicher als die anderen. Es ist leichter, mit diesem Gedanken zu operieren, und man kann bereits behaupten, dass irgendein Prozess gerade im Gange ist. Man darf dem Verstand niemals solche Vorwände liefern, weil er sehr schlau ist. Wenn er spürt, dass er den Menschen irgendwo erwischt hat, den egoistischen Ursprung getroffen hat - wird er sofort versuchen, an dieser Stelle durchzubrechen.

Was die Konzentration auf Körperteilen angeht, rate ich meistens ab, so etwas am Anfang zu tun. Klar, man kann bestimmte Empfindungen erreichen, wenn sich der Mensch auf irgendwelchen Körperteilen konzentriert. Aber gleichzeitig findet an diesen Stellen auch ein großer Energie- und Blutzufluss statt. Und viele Menschen erreichen auf diese Weise, wenn sie bestimmte Yoga-Techniken ausführen, unterschiedliche veränderte Bewusstseinszustände, und das ohne Drogen, nur durch psychische Übungen. Das kann man nur dadurch erreichen, dass eine bestimmte zusätzliche Blutmenge in den Kopfbereich fließt, oder umgekehrt, aus dem Gehirn abfließt - und so entsteht der veränderte Zustand, die veränderte Wahrnehmung der Realität. Viele Menschen beginnen, sich an diese Bilder zu klammern, darin zu schwimmen - und bekommen dadurch neue Bilder. Das heißt, sie haben eine Realität durch eine andere ersetzt: zuvor haben sie alles auf eine Weise gesehen und jetzt sehen sie es anders. Irgendwelche interessanten Empfindungen oder Beobachtungen können aufkommen, jedoch werden das nur die Tricks des Verstandes sein, die den Menschen erwischen und ihn an die Leine irgendwelcher mentalen Einstellungen nehmen werden. Deshalb sollte man so etwas vermeiden, insbesondere solche unkontrollierbare Situationen. Wenn ein Mensch nicht genau weiß, wie man mit bestimmten Körperteilen arbeiten sollte, kann er sich selbst auch unabsichtlich Schaden zufügen, insbesondere, wenn er täglich große Energiemengen dorthin drückt. Das kann zu völlig unkontrollierbaren Prozessen führen.

Deshalb biete ich zuerst nur ganz ungefährliche Techniken an, sprich solche Techniken, die dem Menschen prinzipiell keinen Schaden zufügen können. Das heißt, da kann es nur zwei Resultate geben: entweder es klappt etwas oder es klappt gar nichts. Das heißt, ganz ungefährliche Techniken, weshalb diese besser als Techniken der Konzentration auf Chakras oder beliebige ähnliche Techniken sind. Weil es besser ist, vorerst nur eine Technik zu praktizieren. Übrigens, das ist auch ein Trick des Verstandes: der Verstand fühlt gleich, dass eine Technik ihm zu wenig ist, er braucht noch eine. Mehrmals kam bei mir ein Kerl vorbei. Er kam einmal pro Woche und bekam jedes mal drei bis sieben neue Techniken. Jede Woche kam er vorbei und meinte: "Das klappt bei mir nicht, das ist für mich nicht interessant; diese, so fühle ich, passt mir nicht - geben Sie mir bitte eine neue Technik". Tja, wenn der Mensch bittet, gebe ich es ihm. Und so kam der Mensch lange Zeit vorbei und sammelte eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken obwohl ich mir nicht sicher bin, dass er auch ein bisschen Fortschritt in der Praxis erzielt hat. Deshalb ist es besser, nur eine Technik zu verwenden. Im Endeffekt, wenn die innere Gesammeltheit zum natürlichen Zustand für den Menschen geworden ist, wird alles zu einer Technik. Und dann wird alles, was man verschiedenen Texten entnehmen kann: beispielsweise meditativer Schritt, meditative Atmung, meditative Arten der Arbeit - all das wird zu überflüssigen Techniken. Wenn die Konzentration für den Menschen zum natürlichen Zustand wird, wird er sich auf allem konzentrieren. Und all diese zauberhaften Techniken werden für ihn einfach überflüssig. Eine Technik wird völlig ausreichend sein. Manchmal kann der Mensch die Notwendigkeit irgendwelcher neuen Techniken spüren. Aber, um er noch mal zu betonen, ich rate, nicht voreilig zu sein, und lieber etwas zu warten. Und dann, wenn das Bedürfnis nach einer neuen Technik bleibt, nur dann kann man die Technik wechseln. Darüber gibt es eine sehr bekannte Geschichte. Ein Bauer, der weder schreiben noch lesen konnte, hat in einem Tempel ein Stück von einem Mantra gehört. Er fing an, das Mantra zu praktizieren und hat einen gewissen Erfolg darin erzielt. Eine Weile ist vergangen und er hat einen anderen Bauer getroffen, welcher ein Schüler bei einem Lehrer war. Und dieser meinte zu ihm: "Du liest das Mantra falsch". Er erklärte ihm, wie man es richtig vorlesen muss. Der Bauer begann mit dem richtigen Mantra zu arbeiten und stellte plötzlich fest, dass die Praxis nachgelassen hat. Daraufhin ging er zu dem Lehrer und fragte ihn, was er tun sollte. Der Lehrer sagte: "Praktiziere das Mantra, das du am Anfang praktiziert hast". Und als der Bauer zu dem Mantra zurückgekehrt war, kam seine Praxis wieder in Schwung. Das heißt, man sollte keine besonderen und ausgefeilten Techniken erfinden - eine Technik reicht immer.

Aber man sollte sich auch niemals zwingen. Man sollte beispielsweise nicht die Aufmerksamkeit mit etwas ganz Bestimmten "vergewaltigen". Wenn die Aufmerksamkeit sich zu verschieben beginnt, beispielsweise auf irgendwelche Tätigkeiten, ganz spontan und unbeabsichtigt, ist das überhaupt nicht schlimm. Genauso wenn der Mensch sich länger konzentrieren möchte als er sich vorgegeben hat, sollte man nicht versuchen, sich selbst zu stoppen. Lasst die Konzentration weiterlaufen, lasst es zu einem spontanen und natürlichen Prozess werden. Jedoch sollte man so etwas nicht mit dem Verstand verwechseln. Weil die Praxis, insbesondere am Anfang, ein sehr schwerer Prozess ist. Der Verstand wird einem immer zuflüstern, dass es sehr schwer ist, und der Mensch wird spüren, dass es so ist. Das ist so wie Osho einmal meinte: "Versuchet eine Minute nicht zu denken und ich mache euch zu Erleuchteten". Wenn man das den Menschen sagt, erwidert jeder, dass eine Minute über gar nichts zu denken gar nicht schwer ist. Wenn du dem Menschen vorschlägst, so etwas praktisch zu tun, wird ihm plötzlich klar, dass es ein extrem komplizierter Prozess ist - eine Minute über wirklich gar nichts zu denken. Deshalb sollte man nicht auf die Tricks des Verstandes reinfallen. Man sollte den Verstand steuern, man sollte ihn unterwerfen. Ohne Frage, aller Anfang ist schwer, auch hier. Aber auch hier muss man den Mittelweg finden. Deshalb, wenn die Aufmerksamkeit sich auf irgendwelche Körperteile zu verschieben beginnt, wenn das ganz spontan und unbeabsichtigt geschieht, lasst es einfach sein. Aber so etwas als Ziel der eigenen Praxis zu definieren - das sollte man am Anfang vermeiden.

Gibt es noch Fragen? Oder sind alle schon müde? Auch hier sollte man "die goldene Mitte" wahren. Der Mensch hat eine bestimmte Schwelle bei der Aufmerksamkeit, nach deren Überschreiten diese beginnt nachzulassen. Deshalb sollten wir, glaube ich, für heute Schluss machen und uns lieber das nächste Mal unterhalten. Bis dann.


05.09.1995

Copyright © 2014 Sergey Bugaev und Vladimir Kuzin. Alle Rechte vorbehalten.

 

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