Donnerstag, 13. Februar 2014

Ein Dialog über Die Weisheit (5): Die Meditation - die wahre Sicht auf die Welt

"In der Meditation seht ihr die Welt, außerhalb der Meditation denkt ihr über die Welt wie ein Blinder, der nie die Sonne gesehen hat." [6]

Die Betonung liegt hier auf "seht". Wenn sich ein Mensch im Zustand der Meditation befindet, beobachtet er tatsächlich das reale Weltbild. Er sieht kein imaginäres Weltbild, das anhand irgendwelcher Vorstellungen, Ideen oder "gefällt mir - gefällt mir nicht"-Relation aufgebaut wurde. Er sieht das Bild, das es gibt. Er sieht es nicht vom Standpunkt der öffentlichen Moral, der Vorstellungen von irgendjemandem, historischer Gegebenheiten. Er sieht das, was in der Realität geschieht. Deswegen sieht er tatsächlich die Welt.


Wenn man sich nicht im Zustand der Meditation befindet, lebt man wie ein Schlafwandler. Das ist der Zustand eines normalen Menschen. Man bewegt sich in einem gewohnten Rhythmus, hat eine gewohnte Lebensweise... Das heißt, dass man die ganze Zeit eine kleine "Schraube" in einer Maschine darstellt. Selbstverständlich besitzt man hier eine gewisse Freiheit: man kann beispielsweise wählen, in welcher Maschine oder in welchem Teil der Maschine man als "Schraube" dienen will. Nichtsdestotrotz befindet man sich ständig in Bewegung, die einen dauernd irgendwohin treibt. Und die Welt wird als eine mechanistische Bewegung wahrgenommen, in der man eine "Schraube" ist. Ein solcher Mensch ist nicht in der Lage, die Situation als Ganzes zu betrachten. Er wird nie eine absolut richtige Entscheidung treffen können. Er wird eine Entscheidung treffen können, die vollständig bestimmte Aspekte berücksichtigt, jedoch wird dies nicht ein vollständiges Bild des Geschehens sein. Und nur jener Mensch, der sich in einem spirituellen Zustand befindet, ist in der Lage, das Weltbild zu erkennen, das tatsächlich existiert.

Warum?

Warum er die spirituelle Seite der Welt sehen kann? Das ist wiederum eine trügerische Vorstellung - über die Aufteilung der Welt ins Materielle und Spirituelle. Ein solcher Mensch sieht nichts Überspirituelles, er sieht dasselbe, wie auch alle anderen; er sieht nichts Neues. Er sieht dieselben Bäume, er atmet dieselbe Luft ein, er läuft auf derselben Erde, über ihm scheint dieselbe Sonne. Es geschieht nichts Besonderes.

Heißt es dann, dass sich nichts ändert?

Seine Weltanschauung ändert sich, seine Wahrnehmung der Welt ändert sich. Denn normale Menschen merken nicht, was um sie herum geschieht. Menschen eilen zur Arbeit und essen dabei ein Brötchen. Sie haben nicht mal Zeit, um zu sehen, dass das Wetter schön ist, oder sie haben dafür nur eine Sekunde. Ein Mensch jedoch, welcher sich dauernd im Zustand stetiger Achtsamkeit, stetiger Aufmerksamkeit befindet - ein solcher Mensch ist immer in der Lage jenes zu sehen, was tatsächlich geschieht. Viele Menschen können mit jemanden zwanzig Jahre lang aus Gewohnheit kommunizieren, ohne zu merken, dass sie diese Freunde gar nicht brauchen. Nur aus Gewohnheit oder um den guten Ton zu wahren, setzten sie die Kommunikation mit ihnen fort. Sie glauben, dass deren Freunde unverändert geblieben sind oder dass man des guten Tons wegen mit ihnen kommunizieren, gut über sie denken muss... Deswegen sehen sie diese Menschen nicht tatsächlich.

Ein Mensch, der sich im Zustand der Aufmerksamkeit befindet, ist in der Lage, Menschen so zu sehen, wie sie sind. Und er ist in der Lage, jede Sekunde ihnen die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, wenn er dies wünscht. Das ist der Mensch, welcher sich im Zustand stetiger Achtsamkeit befindet. Und das ist kein Wunder: der Mensch sieht einfach das, was tatsächlich ist. Er sieht das aus seinem inneren spirituellen Bestreben ausgehend, weil er stets seinen eigenen spirituellen Ursprung beobachtet - das, was in ihm selbst passiert. Und natürlich kann ein solcher Mensch diesen spirituellen Ursprung in allen Lebewesen erkennen. Nur weil er selbst solche Erfahrung besitzt, hat er die Fähigkeit, diesen auch in den anderen zu erkennen. Und das Wichtigste dabei ist, dass ein solcher Mensch sehen kann, was in ihnen die Sonne verdeckt, die im Inneren scheint. Er ist in der Lage, den Menschen zu helfen. Er kann ihnen helfen, das zu beseitigen, was sie stört: Hemmnisse, welche ihre eigene innere Sonne am Scheinen hindern. Eben deswegen sind Ratschläge und Empfehlungen eines solchen Menschen am kostbarsten. Nur ein solcher Mensch kann andere lehren, denn er hat einen Vergleichsmaßstab, einen Musterbeispiel - seinen eigenen inneren Zustand, den er ständig beobachtet.

Aber Kinder und Dichter besitzen auch einen solch begeisterten Zustand. Sie betrachten Bäume, die Sonne... Sie haben eine offene Seele, sie nehmen all das in sich auf. Warum besitzen Sie denn Die Weisheit nicht?

Sie besitzen kein vollständiges und vollkommenes Wissen, weil sie bloß über einen Aspekt verfügen. Ja, sie haben die Offenheit, deshalb sind sie in der Lage, die Welt wahrzunehmen, aber sie haben keine Kraft, welche diese Offenheit beschützen würde. Und jedes Mal, wenn diese Menschen der "erwachsenen" Welt begegnen, geht der Zustand sofort verloren. Das heißt, bei denen ist nur ein Teil vorhanden, aber nicht das Ganze. Solche Menschen sind nicht in der Lage, die Situation zu kontrollieren. In der Tat, bis Kinder oder Dichter, diese Romantiker mit Brillen, nicht von irgendjemanden belästigt werden, leben sie scheinbar ganz offen: die Welt ist froh und alles ist schön. Wenn jedoch ein Mensch "aus der anderen Welt" zu ihnen kommt, bricht alles in sich zusammen. Und dies stellt keine vollständige Kontrolle-der-Situation dar, weil sie kein vollständiges Wissen besitzen. Sie sind fähig, die Welt wahrzunehmen, aber sie fühlen wiederum nicht die ganze Bewegung dieser Welt, sie sehen nicht, wie das alles geschieht, und verstehen die Hintergründe des Geschehens nicht. Bei denen liegt nur eins der spirituellen Zustände vor, dies ist ein Stadium des Weges, aber sie haben kein vollständiges und vollkommenes Wissen - das, was man als Die Weisheit bezeichnet. Und das folgt übrigens schon allein aus der Definition Der Weisheit - des Zustands, in den man eintritt und nie wieder verlässt. Alles andere ist noch keine Weisheit. Deswegen müssen Kinder und Dichter das Stadium des Erwachsenwerdens durchlaufen, um Kraft zu sammeln, und danach wieder zur Offenheit zurückkehren. Und wenn sich diese beiden Teile vereinigen, dann wird das das vollständige und vollkommene Wissen sein. Natürlich ist es am besten Offenheit zu besitzen, um die Welt so wahrzunehmen, wie sie ist. Aber man braucht auch Die Kraft, man muss Dieses Wissen haben, um keine Einmischung ins eigene Leben zuzulassen und um von niemandem in irgendeiner Weise abzuhängen.

[6] Sergey Bugaev "Schwarzes und weißes Tantra", 1997, S. 65.

Copyright © 2013 Sergey Bugaev und Vladimir Kuzin. Alle Rechte vorbehalten.


 

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